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Jahrespressegespräch des Präsidenten des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Alexander Riedel: „Die Pandemie hat die Justiz vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Wir haben sie bewältigt und dabei einen großen Digitalisierungsschub erfahren.“

Datum: 28.07.2021

Pressemitteilung vom 28. Juli 2021 (15/21)
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Jahrespressegespräch des Präsidenten des Oberlandesgerichts Karlsruhe – Alexander Riedel: „Die Pandemie hat die Justiz vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Wir haben sie bewältigt und dabei einen großen Digitalisierungsschub erfahren.“

Beim heutigen Jahrespressegespräch in Karlsruhe blickte der Präsident des Oberlandesgerichts Karlsruhe Alexander Riedel auf die Entwicklungen des vergangenen Jahres in der badischen Justiz zurück. Er sprach über die Herausforderungen, die die Justiz in Folge der Corona-Pandemie zu bewältigen hatte. Daneben wurde über Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe berichtet, die sich mit juristischen Folgen der Pandemie beschäftigen.

Alexander Riedel betonte, dass sich die Justiz in den „Lockdowns“ im Frühjahr 2020 und im Winter 2020/2021 vor eine herausfordernde Situation gestellt sah. Einerseits galt es, sich an den gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen zur Zurückdrängung der Pandemie zu beteiligen. Andererseits war trotz aller Einschränkungen die im Rechtsstaat unabdingbare Aufgabe zu erfüllen, der Bevölkerung effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dabei kam dem bereits weit fortgeschrittenen und in der Pandemie noch einmal beschleunigten Grad an Digitalisierung der Gerichte eine wesentliche Bedeutung zu. Der Umstieg auf eine regelmäßige Arbeit im „Homeoffice“ war auch deshalb weitgehend reibungslos möglich, weil der Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe bundesweit einer der Vorreiter bei der Einführung der elektronischen Gerichtsakte ist. Beim Oberlandesgericht und allen neun Landgerichten, aber auch bei zahlreichen Amtsgerichten des Bezirks werden Zivilakten inzwischen elektronisch geführt und können von der Richterschaft, aber auch vielen Unterstützungskräften auch außerhalb des Büros bearbeitet werden. Die Zahl der aus Gründen der Datensicherheit erforderlichen „VPN-Tunnel“ wurde während der Pandemie erheblich vergrößert. Gleichzeitig wurde die Videokonferenztechnik stark ausgebaut, so dass etwa der Unterricht der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, Fortbildungsveranstaltungen sowie dienstliche Besprechungen ohne persönliche Kontakte durchgeführt werden konnten. Aber auch viele zivilrechtliche Verhandlungen werden inzwischen im Wege der Bild- und Tonübertragung abgehalten, was neben dem Infektionsschutz auch zu erheblichen Zeit- und Kostenersparnissen führt, weil Rechtsanwälte und andere Verfahrensbeteiligte auf eine Anreise zum Gerichtsort verzichten können. Allein am Oberlandesgericht Karlsruhe wurden seit November 2020 bereits rund 200 Gerichtsverhandlungen im Wege von Videokonferenzen durchgeführt. Alexander Riedel sagte zusammenfassend: „Die Pandemie hat die Justiz vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Wir haben sie bewältigt und dabei einen großen Digitalisierungsschub erfahren.“

Wie weiter ausgeführt wurde, waren die Senate des Gerichts auch inhaltlich mit vielfältigen Fragen der Pandemiebewältigung unter rechtlichen Vorzeichen befasst. So entschied der 1. Strafsenat bereits frühzeitig, dass die Aussetzung der Hauptverhandlung als Folge der Corona-Pandemie nicht dazu führt, dass ein Angeklagter wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen aus der Untersuchungshaft zu entlassen ist. Bei den Bußgeldsenaten waren mehrere Rechtsbeschwerdeverfahren zu entscheiden, in denen die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg im Hinblick auf die Reichweite von Abstands- und Maskenpflichten auszulegen war. Die Zivilsenate befassen sich demgegenüber mit den eher vermögensrechtlichen Aspekten der Pandemie. So entschied der 7. Zivilsenat, dass der Mieter eines Ladenlokals auch zu Zeiten der coronabedingten Zwangsschließung seines Geschäfts grundsätzlich zur Fortzahlung der Miete verpflichtet ist. Den 12. Zivilsenat beschäftigen derzeit eine ganze Reihe von Verfahren, die die Leistungspflicht von Betriebsschließungsversicherungen für Hotel- und Restaurantbetriebe wegen des Corona-„Lockdowns“ betreffen; erste Entscheidungen halten eine Leistungspflicht – je nach Ausgestaltung der Versicherungsbedingungen – im Einzelfall nicht für ausgeschlossen. Und bei den Familiensenaten sind mehrere Verfahren anhängig, denen eine Anregung (meist von Eltern) gegenüber den Familiengerichten zugrunde liegt, pandemiebedingte Maßnahmen gegenüber Kindern (insbesondere die Maskenpflicht an Schulen) zu untersagen. Der 2. Familiensenat hat in einer hierzu bereits ergangenen Entscheidung weder Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung noch eine Zuständigkeit der Familiengerichte gesehen, Anordnungen gegenüber staatlichen Hoheitsträgern wie Schulen oder Schulbehörden zu treffen. Auch der 16. Familiensenat hat eine solche Zuständigkeit der Familiengerichte verneint.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Vorstellung statistischer Zahlen zur Arbeit des Oberlandesgerichts Karlsruhe. Bei den Zivilsenaten des Gerichts sind im Jahr 2020 3.859 Berufungsverfahren eingegangen, was im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 13 Prozent, im Vergleich zu 2017 aber immer noch eine Steigerung um 64 Prozent bedeutet. Für diese im langjährigen Vergleich weiterhin ausgesprochen hohe Belastung der Zivilsenate sind die aus dem „Diesel-Abgas-Skandal“ resultierenden Rechtsstreitigkeiten verantwortlich; etwa 1.800 solcher Verfahren sind im Jahr 2020 neu anhängig geworden (gegenüber rund 2.550 im Jahr 2019 und etwa 1.280 im Jahr 2018). Auch im Jahr 2021 setzt sich diese Tendenz weiter fort; im ersten Halbjahr haben das Oberlandesgericht bereits mehr als 950 neue „Diesel-Verfahren“ erreicht. Darüber hinaus hatten die Zivilsenate im Jahr 2020 1.179 neu eingegangene Beschwerdeverfahren zu bewältigen (2019: 1.085). Bei den Familiensenaten sind im Jahr 2020 insgesamt 2.112 Neueingänge zu verzeichnen gewesen (2019: 2.307) und bei den Strafsenaten insgesamt 2.271 neue Verfahren (2019: 2.594). Auf diese im langjährigen Vergleich insgesamt hohen Verfahrenszahlen ist es zurückzuführen, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe im Jahr 2020 nach dem Personalbedarfsberechnungssystem („Pebb§y“) im Bereich der Richterschaft einen personellen Deckungsgrad von lediglich 86 Prozent aufgewiesen hat. Dies bedeutet, dass dem Gericht rechnerisch rund 13 Richterinnen und Richter fehlten, um einen Deckungsgrad von 100 Prozent herbeizuführen.

Ergänzende Informationen zum Oberlandesgericht Karlsruhe:

Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist eines von 24 Oberlandesgerichten in Deutschland und davon, gemessen an der Einwohnerzahl seines Bezirks, das sechstgrößte. Es ist Berufungs- und Beschwerdeinstanz in Zivilsachen, Beschwerdeinstanz in Familiensachen, Revisions- und Beschwerdeinstanz in Strafsachen sowie Rechtsbeschwerdeinstanz in Bußgeldsachen. Daneben bestehen einige Sonderzuständigkeiten.

Am Oberlandesgericht Karlsruhe sind (Stand: Januar 2021) 97 Richterinnen und Richter (davon ein Präsident, ein Vizepräsident und 21 Vorsitzende) tätig. Das Gericht hat drei Strafsenate (zugleich Senate für Bußgeldsachen), 22 Zivilsenate (davon fünf Familiensenate), zwei Senate für Landwirtschaftssachen, einen Kartellsenat, einen Vergabesenat, einen Senat für Baulandsachen sowie einen Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen. Daneben besteht beim Oberlandesgericht Karlsruhe das Schifffahrtsobergericht und das Rheinschifffahrtsobergericht. Sechs Zivilsenate (davon zwei Familiensenate) und ein Senat für Landwirtschaftssachen sind in der Außenstelle des Oberlandesgerichts in Freiburg untergebracht; sie sind für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der südbadischen Gerichte (Landgerichtsbezirke Freiburg, Konstanz, Offenburg und Waldshut-Tiengen) zuständig.

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