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Buslinien im westlichen Enzkreis: Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt Vergaberechtsverstöße

Datum: 04.12.2020

Pressemitteilung vom 4. Dezember 2020 (21/20)

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Buslinien im westlichen Enzkreis: Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt Vergaberechtsverstöße

 

Die Vergabe von Buslinien mit Schwerpunkt im westlichen Enzkreis war rechtswidrig. Der 15. Senat des Oberlandesgerichts Karlsruhe unter dem Vorsitz von Dr. Hannelore Hemmerich-Dornick hat diese Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg, die am 31. Juli 2020 auf Antrag der Müller Reisen GmbH & Co. KG aus Birkenfeld ergangen war, mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 bestätigt. Damit steht rechtskräftig fest, dass die zwischen den Antragsgegnern, nämlich dem Enzkreis, der Stadt Pforzheim und dem Landkreis Calw auf der einen Seite und zwei Busverkehrsunternehmen auf der anderen Seite am 30. März und 6. April 2020 für die Dauer von zwei Jahren abgeschlossenen Verträge über die Durchführung eines gemeinwirtschaftlichen Busverkehrs auf den betroffenen Linien unwirksam sind.

Diese Verträge hatten die Antragsgegner geschlossen, nachdem die Müller Reisen GmbH & Co. KG, die die Buslinien seit Dezember 2018 im eigenwirtschaftlichen Verkehr bedient hatte, am 11. Februar 2020 die Entbindung von ihrer Betriebspflicht unter Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten bei weiterer Durchführung des eigenwirtschaftlichen Verkehrs beantragt hatte. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte diesem Antrag mit Bescheid vom 12. März 2020 entsprochen und Müller Reisen zum 14. April 2020 von der Betriebspflicht entbunden.

Das Vorgehen der Antragsgegner war nach Einschätzung des Senats unter mehreren Aspekten rechtswidrig. Zum einen hätten die Aufträge nicht ohne EU-weite Bekanntgabe des Vergabeverfahrens erteilt werden dürfen. Die dabei zu beachtenden Fristen hätten eingehalten werden können, weil die Entbindung von Müller Reisen von der Betriebspflicht seit Anfang Februar 2020 vorherzusehen war und die Antragsgegner zu dieser Zeit zudem bereits damit begannen, mit möglichen Nachfolgebetreibern zu verhandeln. Zum zweiten bestehen Bedenken gegen die Vertragslaufzeit von zwei Jahren, nachdem die Verträge im „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ und daher aus Gründen der Dringlichkeit unter Einschränkung des freien Wettbewerbs abgeschlossen wurden. Drittens war das Verfahren auch deshalb nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weil die Antragsgegner auch in dem gewählten „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ mindestens drei Bewerber einzuladen gehabt hätten und sich nicht auf den Kontakt mit lediglich zwei Unternehmen beschränken durften. Schließlich war auch die Entscheidung der Antragsgegner, Müller Reisen im Vergabeverfahren nicht zu berücksichtigen, rechtsfehlerhaft. Deren Entbindung von der Betriebspflicht im eigenwirtschaftlichen Verkehr war nicht wegen Pflichtverletzungen oder wegen einer mangelhaften Durchführung des Buslinienbetriebs erfolgt, sondern weil die eigenwirtschaftliche Durchführung des Busverkehrs mangels kostendeckender Einnahmen und Mittelzuweisungen nicht möglich erschien. Die Antragsgegner haben auch keine ausreichenden Gründe dafür dargelegt, dass Müller Reisen nicht leistungsfähig war und ihr deswegen ein Auftrag zur Durchführung einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistung nicht erteilt werden konnte.

 

Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20

 

Hintergrund:

Gemäß § 8 Abs. 4 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) besteht ein Vorrang der eigenwirtschaftlichen gegenüber der gemeinwirtschaftlichen Personenbeförderung. Eigenwirtschaftliche Durchführung bedeutet, dass die Verkehrsleistung unter – ggf. generell staatlicherseits korrigierten – Marktbedingungen zustande kommt, während gemeinwirtschaftliche Leistungen nur mit Hilfe staatlicher Wirtschaftslenkung in der gewünschten Qualität zu einem als angemessen angesehenen Preis angeboten werden können.

Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund eines Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.

Gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) kann ein öffentlicher Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind; die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem öffentliche Auftraggeber nicht zuzurechnen sein.

Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB kann ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.

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